Mit ihrer ersten umfassenden Werkschau in der Schweiz Blutbetriebene Kameras und quellende Räume kehrte die international gefeierte Medienkünstlerin Pipilotti Rist 2012 für ein kurzes Heimspiel ins Kunstmuseum St.Gallen zurück. 1962 im St.Galler Rheintal geboren gilt sie als wegweisende Figur der zeitgenössischen Videokunst. 1994 fand im Kunstmuseum St.Gallen unter dem Titel I’m Not The Girl Who Misses Much – Ausgeschlafen, frisch gebadet und hoch-motiviert im Rahmen des MANOR-Kunstpreises ihre erste Museumsausstellung statt, die den Beginn einer unvergleichlichen Künstlerinnenlaufbahn markierte. In dieser Ausstellung wurde auch Das Zimmer (1994/2000) erstmals präsentiert, das nun als Dauerleihgabe im Kunst-museum St.Gallen dem Publikum zugänglich gemacht wird. Zusammen mit dem TV-Lüster (1993), der das Publikum im Foyer fröhlich grüsst, wird somit künftig ein vertiefter Einblick ins Schaffen der bedeutenden St.Galler Künstlerin vermittelt.
Das Zimmer: Ein Sofa und ein Sessel, beides in knallroter Farbe, dazu eine Stehlampe mit grossmütterlichem Lampenschirm, ein wundersames Bild an der Wand und ein ordentlicher Fernseher auf einem flauschigen Teppich platziert erzeugen zusammen eine heimisch-
vertraute Atmosphäre. Das Museum verwandelt sich gleichsam in die gute Wohnstube, nur dass das Mobiliar in den Dimensionen derart vergrössert ist, dass man sich als Erwachsener
auf dem Sofa plötzlich wieder wie ein Kleinkind fühlt. Das traute Heim scheint ins Monströse überhöht und wirkt dadurch gleichermassen verspielt wie bedrohlich. Als Besucher wird man Teil von Pipilotti Rists fröhlichem Environment, in der die Dimensionen nicht nur wie weiland Gulliver auf seinen Reisen ins Land Brobdingnag entscheidend verschoben sind, sondern sich vielmehr damit automatisch neue Perspektiven auf die Welt eröffnen.
Mittels einer ebenfalls überdimensionierten Fernbedienung lassen sich auf dem Fernseh-monitor verschiedene Programme einschalten. Dabei handelt es sich um die gesammelten Einkanal-Videoarbeiten der Künstlerin vom frühen I’m Not The Girl Who Misses Much (1986) bis zu Let Your Hair Down (2009). Zusammen bieten sie gewissermassen eine konzise Film-retrospektive der Künstlerin im Kleinen. In ihren Videos beschäftigt sich Pipilotti Rist mit der visuellen und auditiven Beschreibung der Gefühle, welche Bilder und Töne ergeben, „wenn du berührt wirst oder wenn du jemanden berührst“ (Rist). Die beinahe malerische Behandlung der Bilder wie auch die raumgreifende Inszenierung ihrer Videos sind charakteristisch für ihre unverwechselbare künstlerische Sprache wie auch spektakuläre Kamerafahrten und sich überschlagende Bilder, die zusammen mit technischen Verfremdungen und assoziativen Montagen in traumartigen Sequenzen in einen alles umfassenden leuchtend farbigen Bilder-strom münden. Raffiniert befragt die Künstlerin den vermeintlichen Wirklichkeitsgehalt des Mediums Video und schafft zugleich ihre eigenen sinnlichen Bild- und Erfahrungsräume, in die man wie in die überdimensionierten Sofas eintauchen kann, um einzigartige Glücksgefühle zu erleben: „Video ist die Synthese von Musik, Sprache, Malerei, Bewegung, ‚miesen-fiesen’ Bildern, Zeit, Sexualität, Erleuchtung, Hektik und Technik. Das ist das Glück des Fernseh-schauenden und der Videokünstler.“ (Rist) Dazu ergänzt die Kuratorin Stephanie Rosenthal treffend: „Rist verführt ihr Publikum, den eigenen Gedanken zu folgen, die inneren Bilder in Fluss zu bringen und die Perspektive auf die Welt zu verschieben, neue Facetten zu entdecken. Wie einen Freund nimmt sie uns bei der Hand und schärft unsere Aufmerksamkeit.“