Kunst der Moderne

Zwischen Geste und Geometrie bewegt sich die Entwicklung der Kunst der Moderne. Expressiver Ausdruck auf der einen und konstruktive Ordnung auf der andern Seite prägen die Avantgarden, von den Expressionisten über die Konstruktivisten bis zur informellen und zur konkreten Kunst der Nachkriegszeit. Alle diese Strömungen sind im Kunstmuseum St.Gallen mit zum Teil bedeutenden Werken vertreten.

Klassische Moderne: Von Kirchner bis Klee

Als die herausragende Persönlichkeit der Künstlergemeinschaft «Die Brücke» war Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) am Aufbruch des Expressionismus in Deutschland beteiligt. Auf den hektischen Grossstadtexpressionismus folgte eine Werkphase, die durch seine Begegnung mit der Bergwelt bestimmt war. Nachdem er im Krieg erkrankt war, zog sich Kirchner zur Genesung nach Davos zurück und schuf dort sein durch die Landschaft geprägtes Spätwerk. Zu den eindrücklichsten Gemälden dieser Jahre zählt «Der Alpaufzug» (1918/19). In einer bewegten Komposition in leuchtenden Farben, aufgetragen mit heftigem Pinselstrich, wird die alpine Szenerie ins Expressive gesteigert: eine gewaltige Zusammenfassung unberührter Natur und ursprünglichen Berglerlebens. Entschieden beruhigter erscheint der Jahre später vollendete «Bahnhof Davos» (1925), der das Eindringen der Technik in die unberührte Bergwelt veranschaulicht – mit hochgetürmten Hotelsiedlungen und elektrifizierter Lokomotive.

Sophie Taeuber-Arp (1889-1943) gehörte 1916 zusammen mit ihrem nachmaligen Gatten Hans Arp (1887-1966), der mit einer späten Bronzeskulptur in der Sammlung vertreten ist, zu den Gründern der Dada-Bewegung in Zürich und auch zu den Mitgliedern der Gruppe «Abstraction-Création», in der sich die Pariser Avantgarde vereinigte. Ihre eigenen Arbeiten, vorwiegend fein ausbalancierte Bilder und farbige Reliefs, sind geprägt von der Spannung zwischen freien Beziehungen der Elemente und strenger Gesamtkomposition. Im wunderbar leuchtenden Bild «Gelbe Form» (1935), einer Schenkung von Marguerite Arp-Hagenbach, verbinden sich geometrische und organische Formen zu einer Gesamtstruktur, die dank des weichen Farbkontrasts zugleich das Positiv-Negativ-Prinzip auslotet. Selbst ihre strengeren Kompositionen erscheinen im Vergleich mit den kalkulierten Bildordnungen der jüngeren, in der Sammlung ebenfalls präsenten Zürcher Konkreten – Max Bill (1908-1994) oder Camille Graeser (1892-1980) - ungezwungen und verspielt.

Paul Klee (1879-1940) vereint das geometrisch Konstruktive und dessen Ordnung mit dem Zufälligen, Fantastischen, gar Chaotischen. Er findet ein Gleichgewicht zwischen der autonomen Form und der Gegenständlichkeit, in der die Bildgestalt Bezug nimmt nicht zu einer äusseren, sondern zu einer inneren Wirklichkeit. Diese vielschichtigen Referenzen lassen sich in einer konzentrierten Werkgruppe, die das Kunstmuseum St.Gallen einer Schenkung von Erna und Curt Burgauer verdankt, studieren. Einen Höhepunkt bildet das feingliedrige «Tänzerpaar», entstanden 1923 während Klees Lehrtätigkeit am Bauhaus. Das Bildgeviert scheint durch fein abgestufte Farbflächen gegliedert, aus dem sich zwei puppenhafte Figuren herausbilden, die an Notenschlüssel erinnern und damit das musikalische Bildthema subtil andeuten.

Koloristische Gegenpole

Vor allem als Maler sakraler Bildthemen bekannt geworden ist Ferdinand Gehr (1896-1996). Sein Schaffen durchmisst das ganze 20. Jahrhundert, setzt in den zwanziger Jahren ein mit einer reduzierten, an Matisse geschulten Formensprache, führt in den Nachkriegsjahren zu den monumentalen Bildprogrammen für zeitgenössische Sakralräume und findet seinen Höhepunkt im Spätwerk. Das Kunstmuseum beherbergt eine Werkgruppe, in der neben dem Spätwerk auch seltene Gemälde und Fresken aus den frühen Jahren zu sehen sind, etwa «Roter Kopf» (1926) oder «Menschwerdung II» (1936). Vor allem das Fresko besticht durch seine leuchtende Farbigkeit, die den Koloristen verrät, und die an der Moderne orientierte Formensprache, die immer auch als Symbol zu verstehen ist für eine grundlegende spirituelle Botschaft.

«If you want to know all about Andy Warhol, just look at the surface», lautet einer der vielzitierten Sprüche des berühmten amerikanischen Pop-Künstlers Andy Warhol (1928-1987). Warhol steht heute als Symbol für den modernen Künstler: Er schuf die Ikonen seiner Zeit, indem er die alltägliche Warenwelt – beispielsweise die berühmte «Campbell’s Condensed Tomato Soup», 1962 - auf ihre Bildwürdigkeit untersuchte. Später verlieh er mit seinen Porträts berühmter Filmstars und den Darstellungen von Katastrophen dem Bild der modernen Medienwelt künstlerisch Ausdruck. Bei all dem geht oft vergessen, dass Warhol als Maler ein grosser Kolorist war, der ein gegebenes Sujet, sei es eine Suppendose oder ein Blumenmotiv, in poppig leuchtende Farbvarianten umzusetzen verstand. Bis heute messen sich Kunstschaffende an den Grundlagen der Kunst der sechziger Jahre, sei es nun an der Warenwelt der Pop Art oder der Radikalität der zeitgleichen Minimal Art.

Kunst der Nachkriegsmoderne

Es gibt diese magischen Orte, an denen sich aussergewöhnliche Dinge ereignen, die als herausragende kulturelle Leistungen in die Geschichte eingehen. Einer dieser Orte ist die Erker-Galerie in St.Gallen. Sie war eine der Gravitationszentren für die Kunst der Nachkriegsmoderne in der Schweiz. 1958 von Franz Larese und Jürg Janett gegründet, vermittelte die Erker-Galerie zeitgenössische Kunst von höchstem internationalem Rang: Hans Arp (1887-1966), Max Bill (1908-1994), Eduardo Chillida (1924-2002), Günther Förg (1952-2013), Hans Hartung (1904-1994), Asger Jorn (1914-1973), Robert Motherwell (1915-1991), Serge Poliakoff (1900-1969), Antoni Tàpies (1923-2012) oder Günther Uecker (*1930). Aber auch die Vermittlung der Kunst war wegweisend, indem sich Künstler mit Kunstfreunden und Literaten wie Friedrich Dürrenmatt oder Eugène Ionesco bei regelmässigen Erker-Treffen zum intensiven Gedankenaustausch trafen. Zum «Erker-Kosmos» gehört auch die berühmte Erker-Presse sowie ein Verlag.

Das Kunstmuseum St.Gallen beherbergt als Schenkung der Stiftung Franz Larese und Jürg Janett eine erstrangige Auswahl von mehr als 1’000 Druckgraphiken aus dem reichen Archiv der Erker-Presse. Die Schenkung von unvorstellbarer Fülle und höchster künstlerischer Qualität umfasst Mappenwerke, bibliophile Bücher, Einzelblätter und ganze Graphikfolgen von so bedeutenden Künstlern der Moderne wie Hans Arp, Fritz Wotruba (1907-1975), Max Bill, Hans Hartung, Eduardo Chillida, Antoni Tàpies, Günther Uecker oder Günther Förg. Sie werden ergänzt durch eine Auswahl erstrangiger Originalwerke aus der privaten Kollektion von Franz Larese und Jürg Janett. Als Ganzes bilden sie einen einzigartigen Schwerpunkt der St.Galler Kollektion und begründen im Kunstmuseum einen herausragenden Sammlungsakzent in der Kunst der Nachkriegsmoderne.